OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.12.2012, 2 Ss 708/12
Leitsätze:
- Weicht das (Berufungs-) Gericht zum Nachteil des Angeklagten von der Reihenfolge der drei Stufen der Schwere einer Strafe (Geldstrafe – Freiheitsstrafe mit Bewährung – Freiheitsstrafe ohne Bewährung) ab, erfordert dies eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Begründung.
- Das (ausreichend begründete) Ermessen des Tatrichters ist vom Revisionsgericht im Zweifel bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (BGH, NJW 1982, 40). Die Revision kann deshalb ein Urteil nur auf Rechts- und Ermessensfehler prüfen BGHSt 6, 392).
- Bei der Prognoseentscheidung sind die Lebensverhältnisse des Angeklagten im Hinblick auf Familie, Beruf und soziale Einordnung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 14. Juni 2012 [Az. 6 Ns 27 Js 19834/11] mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ravensburg
zurückverwiesen.
Gründe:
- Das Amtsgericht Bad Saulgau verurteilte die Angeklagte am 27. März 2012 wegen gemeinschaftlichen Betruges in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Freiheitsstrafe von 6 Monaten ohne Bewährung. Gegen dieses Urteil legte die Angeklagte Berufung ein, die sie in der Hauptverhandlung mit ustimmung des Vertreters der Staatsanwaltschaft auf die Rechtsfolgen und hier ausdrücklich auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte. Durch Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 14. Juni 2012 wurde die Berufung als unbegründet verworfen.
Mit der gegen das Urteil eingelegten Revision rügt der Verteidiger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Entscheidung über die Bewährung auszuheben.
- Das zulässig eingelegte und begründete Rechtsmittel hat – vorläufigen – Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 349 Abs. 4 StPO).
Das Landgericht hat zu Recht nur noch darüber entschieden, ob die verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die dahingehende Beschränkung der Berufung war wirksam. Der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt bietet in Verbindung mit den ergänzenden Feststellung des Landgerichts zu den Taten, die den Vorstrafen zugrunde liegen, eine noch ausreichende Grundlage für die Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB (vgl. dazu Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. September 2009, 1 Ss 63/09; OLG Bamberg, Beschluss vom 24. Januar 2012, 3 Ss 126/11; beide zitiert nach JURIS).
Indes halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung versagt hat, der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie sind lückenhaft. Da das Landgericht nur noch über diese Frage entschieden hat, ist das Urteil insgesamt aufzuheben
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Zuschrift vom 12. November 2012 ausgeführt:
- Die Entscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB, ob der Angeklagten eine günstige Sozialprognose zu stellen ist, und die Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe gebietet, obliegen dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat sie im Zweifel bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (BGH, NJW 1982, 40). Es kann sie deshalb nur auf Rechts- und Ermessensfehler nachprüfen (BGHSt 6, 392). Solche Fehler liegen hier vor.
- Die Entscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB, ob der Angeklagten eine günstige Sozialprognose zu stellen ist, und die Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe gebietet, obliegen dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat sie im Zweifel bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (BGH, NJW 1982, 40). Es kann sie deshalb nur auf Rechts- und Ermessensfehler nachprüfen (BGHSt 6, 392). Solche Fehler liegen hier vor.
- Allerdings enthebt das dem Tatrichter eingeräumte Ermessen ihn nicht von der
Verpflichtung, Ausführungen im Urteil niederzulegen, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung dahingehend ermöglichen, ob er bei der Prognoseentscheidung gem. § 56 Abs. 1 StGB sämtliche relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt hat (BGH, NStZ 1994, 336). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. - Zum einen hat es die Kammer rechtsfehlerhaft unterlassen, bei der Erörterung der
negativen Sozialprognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB auch den Umstand zu würdigen, dass bislang gegen die Angeklagte lediglich Geldstrafen verhängt worden waren. Insofern hätte es der Erörterung bedurft, weshalb nicht bereits die erstmalige Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung eine ausreichende Warnfunktion bei der Angeklagten entfaltet hätte. - Außerdem sind bei der Prognoseentscheidung die Lebensverhältnisse der Angeklagten im Hinblick auf Familie, Beruf und soziale Einordnung zu berücksichtigen (vgl. Fischer, StGB, § 56 Rn. 10 m.w.N.) Aus den Ausführungen im Rahmen der negativen Sozialprognose ist nicht erkennbar, ob das Landgericht berücksichtigt hat, dass die Angeklagte eine 9jährige
- Tochter zu versorgen hat, wie sich aus den durch das Amtsgericht Bad Salgau getroffenen Feststellungen ergibt.
- Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass insbesondere diese Umstände, die im
Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB hätten berücksichtigt werden müssen, zu einer anderen Entscheidung geführt hätten, kann das Urteil in diesem Punkt keinen Bestand haben.
Auch der Senat ist der Auffassung, dass hier ein durchgreifender Erörterungsmangel vorliegt. Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, bei der Begründung der Prognoseentscheidung alle irgendwie erheblichen Erwägungen darzustellen. Die wesentlichen Umstände müssen aber behandelt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 06. Mai 1992, 3 StR 149/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 1; Hubrach in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage, § 56 Rdnr. 32 m.w.N.). Hier sind die Erwägungen des Landgerichts jedenfalls insoweit lückenhaft dargestellt, als sie den Umstand unerwähnt lassen, dass zuvor nur Geldstrafen, aber keine Freiheitsstrafe gegen die Angeklagte verhängt worden waren.
Eine eigene Sachentscheidung des Senats nach § 354 Abs. 1a Satz 1 oder Satz 2 StPO ist bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung regelmäßig nicht möglich (dazu Hubrach a.a.O. Rdnr. 33) und kommt aufgrund des festgestellten Sachverhalts auch in diesem Fall nicht in Betracht.