Der Winkeladvokat

Der Winkeladvokat

Gerne werden Rechtsanwälte – insbesondere die, die jeweils auf der Gegenseite agieren – als „Winkeladvokaten“ bezeichnet. Sogar das Bundesverfassungsgericht musste in einem Beschluss vom 02.07.2013 (1 BvR 1751/12) darüber entscheiden, ob die Bezeichnung einer Kanzlei als „Winkeladvokatur“ untersagt werden darf oder von der in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit gedeckt ist. Das BVerfG stellte zwar fest, der Begriff beinhalte die Aussage, der so bezeichnete Anwalt weise eine geringe fachliche Eignung und eine zweifelhafte Seriosität auf, so dass er auf diese Weise in seiner Persönlichkeit herabgesetzt sei. Da der Vorwurf der Winkeladvokatur allerdings nur eine begrenzt gewichtige Herabsetzung allein in der beruflichen Ehre bedeute und nach seinem Wortlaut nur auf die Kanzlei, nicht aber auf die dort praktizierenden Rechtsanwälte bezogen sei, dürfe diese Meinungsäußerung nicht einfach untersagt werden.

Der besagte Kopf hängt heute in meiner Kanzlei und ist mir immer wieder Erinnerung daran, dass ich mich nicht damit zufrieden geben soll, wenn das Ziel eines Mandanten auf den „ausgetretenen Wegen“ nicht erreicht werden kann. Manchmal ist es nötig, „um die Ecke“ zu denken, denn nur durch diese Phantasie verdient sich ein Jurist den Ehrentitel, ein „guten Winkeladvokat“ zu sein.

Mein Vater hatte dagegen ein positiveres Bild eines Winkeladvokaten, als er mir – mit dem nötigen Schuss Humor, der auch in einer so ernsthaften Wissenschaft wie der Jurisprudenz – zu meiner Hochzeit dieses Kunstwerk überreichte und das Geschenk mit folgendem Gedicht erläuterte und kommentierte:

Der Winkeladvokat In dieser wunderschönen Zeit, an diesem wunderbaren Tag liegt ein Präsent für Dich bereit, das ich jetzt überreichen mag.
Es ist ein Werk aus Künstlerhand - man sieht’s beim ersten Blicke schon –, das ich – meist bietend, jüngst erstand bei einer großen Kunstauktion.
Es ist – aus Holz geschnitzt – ein Kopf, ganz streng gesehen im Profil, mit Nase, Mund und kleinem Zopf – doch sagt uns das ja noch nicht viel.
Bedeutsam ist dies Ornament! Es ist aus Stoff und nicht aus Holz; Und dieses, was man „Fliege“ nennt, drückt Würde aus und Macht und Stolz.
Die Fliege und der kleine Zopf verraten, was das Ganze ist: der Mensch, der Träger von dem Kopf, ist ziemlich sicher ein Jurist!
Hier ist ein Auge angebracht: Es ist das Auge des Gesetzes, das über Gut und Böse wacht mit Hilf‘ des Paragraphennetzes.
Dreimal ist Eisen angebracht, das hier als Haarespracht fungiert und hier des Ohres Muschel macht und hier den Mund symbolisiert.
Die Eisen hat der Künstler schlau - was jedem gleich ins Auge fällt – mit Vorbedacht und sehr genau als rechte Winkel dargestellt.
Dies Kunstwerk sei für immer Dein! Halt es als Warnung stets parat, denn so wie der darfst Du nie sein – es ist ein Winkeladvokat!
Hansjörg Schneble