AG Offenburg, Beschluss vom 03.01.2013, Az. 7 BWL 24/08 jug. (7 Ls 5 Js 14202/07 Hw AG Offenburg): Vertrauensschutz bzgl. Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung

03AG Offenburg, Beschluss vom 03.01.2013, Az. 7 BWL 24/08 jug. (7 Ls 5 Js 14202/07 Hw AG Offenburg): Vertrauensschutz bzgl. Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung

Leitsätze:

  1. Der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung ist auch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig. Nach herrschender Meinung gibt es keine Frist, nach deren Ablauf ein solcher Widerruf unzulässig wäre.
  2. Bleiben in einer gerichtlichen Entscheidung weitere Maßnahmen ausdrücklich vorbehalten, schafft auch ein langer Zeitraum bis zum Eintritt der Bedingung, von der die weitere Maßnahme abhängig gemacht worden ist, keinen Vertrauenstatbestand für die Erwartung, auf die Anordnung der Maßnahmen werde nun doch verzichtet.
  3. Ein Vertrauenstatbestand kann aber durch weitere Absprachen oder gerichtliche
    Entscheidungen geschaffen werden, auch wenn dabei ein früherer Vorbehalt weiterer Maßnahmen vergessen wird oder nicht bekannt ist, und daher nicht berücksichtigt wird.

Beschluss: Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Bewährungswiderruf wird zurückgewiesen.

Gründe:

Mit Urteil vom 10.07.2008 wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlichen Diebstahls unter Einbeziehung eines Urteils des Landgerichts O vom 08.03.2007 zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt. Gegenstand des Verfahrens war ein gemeinschaftlicher Diebstahl von mehr als 40 Stangen Zigaretten aus dem Zentrallager der Firma E in O im Februar 2007; Gegenstand des einbezogenen Urteils waren mehrere Diebstähle sowie eine schwere räuberischen Erpressung (im November 2005 hatte der Verurteilte zusammen mit zwei Bekannten die Postagentur in A überfallen).

Die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung war zunächst zurückgestellt worden. Mit Beschluss vom 20.10.2008, rechtskräftig seit dem 23.10.2008, wurde die Vollstreckung der Jugendstrafe nachträglich für die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Zwischenzeitlich ist die Bewährungszeit zweimal um jeweils ein halbes Jahr verlängert worden, und zwar mit Beschlüssen vom 26.01.2010 (im Hinblick auf eine Verurteilung durch das Amtsgericht O vom  8.12.2009 wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen versuchten Diebstahls, jeweils in Tateinheit mit Hausfriedensbruch) sowie vom 15.10.2010 (im Hinblick auf ein Urteil des Amtsgerichts L vom 13.08.2010, mit dem der Verurteilte wegen einer im Januar 2010 begangenen vorsätzlichen

Die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung war zunächst zurückgestellt worden. Mit Beschluss vom 20.10.2008, rechtskräftig seit dem 23.10.2008, wurde die Vollstreckung der Jugendstrafe nachträglich für die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Zwischenzeitlich ist die Bewährungszeit zweimal um jeweils ein halbes Jahr verlängert worden, und zwar mit Beschlüssen vom 26.01.2010 (im Hinblick auf eine Verurteilung durch das Amtsgericht O vom  8.12.2009 wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen versuchten Diebstahls, jeweils in Tateinheit mitHausfriedensbruch) sowie vom 15.10.2010 (im Hinblick auf ein Urteil des  Amtsgerichts L vom 13.08.2010, mit dem der Verurteilte wegen einer im Januar 2010 begangenen vorsätzlichen

lm Hinblick auf dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Bewährungswiderruf beantragt. Der Verteidiger hat für seinen Mandanten zum Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Stellung genommen.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft war aufgrund folgender Überlegungen zurückzuweisen: Die – zweimal verlängerte – Bewährungszeit ist bereits am 22.10.2011 abgelaufen. Zwar weist die Staatsanwaltschaft zutreffend daraufhin, dass ein Widerruf der Strafaussetzung auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig ist und es nach überwiegender Meinung auch keine Frist gibt, nach deren Ablauf ein Widerruf ausscheidet. Auch besteht mit der Staatsanwaltschaft Einigkeit dahingehend, dass sich der Verurteilte nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen kann, da im Beschluss vom 15.11.2010 weitere Maßnahmen nach Abschluss des beim  andgericht A anhängigen Verfahrens ausdrücklich vorbehalten worden sind (wobei zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht absehbar war, dass es noch über 1 1/2 Jahre dauern würde bis zum Abschluss dieses Verfahrens)

Vom Verteidiger ist jedoch unwidersprochen vorgetragen worden, dass in dem Verfahren vor dem Landgericht A die umgehende Einweisung des Verurteilten in den Maßregelvollzug thematisiert (und bei einem erfolgreich verlaufenden Maßregelvollzug die Aussetzung der dann noch offenen Reststrafe zur Bewährung in Aussicht gestellt) worden sei.

Im Hinblick darauf, dass mit einem Bewährungswiderruf in vorliegender Sache (der zur Folge hätte, dass die Vollstreckung des Maßregelvollzugs zunächst wieder unterbrochen werden müsste zur Vollstreckung zumindest eines Teils der Jugendstrafe) offenbar keiner der Verfahrensbeteiligten in A mehr gerechnet hat, kann sich der Verurteilte im Ergebnis auf einen Vertrauenstatbestand berufen, der einen Widerruf letztlich unzulässig macht, obwohl an sich die  iderrufsvoraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG vorliegen.

Da auch eine Verlängerung der Bewährungszeit ausscheidet (deren Höchstmaß beträgt 4 Jahre, die im Oktober 2012 abgelaufen sind), wird deshalb die Jugendstrafe aus dem Urteil vom 10.7.2008 nach Rechtskraft dieses Beschlusses zu erlassen sein unter Beseitigung des Strafmakels.

Anmerkungen:

  1. Das Thema, inwieweit Verurteilte auf den Inhalt zukünftiger Entscheidungen vertrauen dürfen, ist mit Blick auf die erheblichen Eingriffe, die die Strafvollstreckung im Leben eines Menschen bedeutet, von erheblicher Bedeutung. Das Amtsgericht Offenburg prüft in dieser Entscheidung zwei Argumente, aus denen sich ein Vertrauen des Mandanten herleiten könnte, seine alte Bewährung werde nicht mehr widerrufen:a. Allein durch Zeitablauf entsteht kein schutzwürdiges Vertrauen, auch bei einer
    Verfahrensdauer von 1 ½ Jahren vor dem LG A musste der Mandant mit dem
    anschließenden Widerruf rechnen.b. Das LG A hat gegen den Mandanten allerdings nicht nur eine mehrjährige Haftstrafe verhängt (die den Widerruf der alten Bewährung gerechtfertigt hätte), sondern dabei auch berücksichtigt, dass der Mandant seine Strafe nicht im Gefängnis absitzen sollte. Vielmehr sollte er schnellstmöglich, im konkreten Fall unmittelbar nach Rechtskraft des Urteils, zur Therapie seiner Drogensucht in die Psychiatrie gebracht werden. Da diese Therapie nicht nur dem Interesse der Allgemeinheit an Schutz vor weiteren Straftaten dient, sondern auch dem Wunsch des Mandanten entsprach, durfte er sich darauf verlassen, dass ihm das Amtsgericht Offenburg diese Chance, die ihm das Landgericht A gegeben hatte, nicht wieder nehmen würde. Das gilt im vorliegenden Verfahren auch trotz des Umstandes, dass Offenburg und A in unterschiedlichen Bundesländern liegen.
  2. Das Amtsgericht Offenburg weist darauf hin, dass wegen des Vorliegens eines
    Vertrauenstatbestandes der Widerruf der Bewährung unzulässig ist. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob die Vollstreckung der alten Strafe vielleicht aus anderen Gründen sinnvoll sein könnte
  3. Wenn die Höchstfrist für die Bewährungszeit erreicht ist, gibt es nur noch die Alternativen, die Strafe zu erlassen oder die Aussetzung zu widerrufen. Andere Maßnahmen, wie z.B. weitere Auflagen oder eine erneute Verlängerung der Bewährungszeit sind dann nicht mehr möglich.
  4. Wie am Ende des Beschlusses angekündigt wurde die Jugendstrafe nach Eintritt der Rechtskraft erlassen und der Strafmakel beseitigt